OLG Schleswig, Urteil vom 12. Mai 2010 – 10 UF 243/09

Umfang der Erwerbsbemühungen zur Deckung des Mindestunterhalts gegenüber minderjährigen Kinder

Leitsatz des Gerichts:

Ein vierzigjähriger gelernter Tischer, der aus selbständiger Tätigkeit (Hausmeisterservice) nicht den Mindestunterhalt für die Kinder aus seiner geschiedenen Ehe erwirtschaften kann, ist gehalten, sich nachhaltig um eine besser bezahlte Tätigkeit zu bemühen oder aber unter Beibehaltung seiner derzeit ausgeübten selbständigen Tätigkeit die „unter Deckung“ aus dieser Tätigkeit durch eine Nebentätig auf Minijobbasis auszugleichen. Diese Bemühungen sind im Radius von jeweils 100 km um seinen jetzigen Wohnort in der näher der Kinder zumutbar, weil den 12 bzw. 14 jährigen Kindern zumutbar ist zu den Umgangskontakten in diesem Bereich selber anzureisen.

Bemerkungen:

In der vorliegenden Entscheidung geht es um einen Vater, der seinen beiden minderjährigen Kindern (12 und 14 Jahre) zur Zahlung von Kindesunterhalts verpflichtet ist. Unter Abänderung eines früheren Vergleichs hatte das Familiengericht in der ersten Instanz den Kindesvater zur Zahlung von Unterhalt in Höhe von 72,51 % (derzeit jeweils € 194,00) des jeweiligen Mindestunterhalts pro Kind verurteilt. Das Familiengericht hatte dabei für den Kindesvater ein fiktives Nettoeinkommen in Höhe von € 1.287,94 aus einer Erwerbstätigkeit als gelernter Tischlergeselle angenommen.

Hiergegen wandte sich der Kindesvater mit der Berufung in der er ausführte, dass er zwar Tischler gelernt habe, in diesem Beruf aber nie gearbeitet hätte. Mit nunmehr 40 Jahren wäre es ihm auch nicht mehr möglich, in den ehemals erlernten Beruf zurück zu kehren, zumal kein Bedarf am Arbeitsmarkt bestehe. Mit seiner selbständigen Tätigkeit könne er bestenfalls € 1.214,00 netto verdienen. Die Verpflichtung zu einer bundesweiten Bewerbung um einen Arbeitsplatz wäre ihm nicht zumutbar, denn schon eine Bewerbung im Hamburger Raum erschwere die Umgangskontakte mit seinen in Timmendorf lebenden Kindern. Der Kindesvater sehe sich insofern durch die jüngsten Entscheidungen auch des Bundesverfassungsgerichts bestätigt, die Forderungen an die Leistungsfähigkeit von Unterhaltsschuldnern entsprechend der realen Marktbedingungen zu reduzieren. Auch im Bezug auf die Sicherung des Mindestunterhalts dürften dem Unterhaltsverpflichteten keine unzumutbaren Arbeiten auferlegt, bzw. kein tatsächlich nicht erzielbares Einkommen zugerechnet werden.

Das OLG Schleswig hat die Berufung des Kindesvaters zurück gewiesen. Es hat dabei insbesondere das vom Familiengericht fiktiv errechnete Einkommen für den Kindesvater bestätigt. Darlegungs- und beweispflichtig für die jeweiligen Erwerbsbemühungen sei der Unterhaltspflichtige, der sich bei seinen Erwerbsbemühungen an den geltenden Unterhaltssätzen für die Kinder zu orientieren habe. Wenn feststehe, dass aus einer selbständigen Tätigkeit über einen längeren Zeitraum hinaus nicht der Mindestunterhalt für die unterhaltberechtigten Kinder erwirtschaftet werden könne, so ist der Unterhaltsverpflichtete dazu angehalten, sich nachhaltig um eine besser bezahlte Tätigkeit zu bemühen oder aber unter Beibehaltung seiner derzeit ausgeübten selbständigen Tätigkeit die „Unterdeckung“ aus dieser Tätigkeit durch eine Nebentätigkeit auf Minijobbasis auszugleichen.

All dies habe der Kindesvater nicht nachgewiesen. Entgegen der Auffassung des Kindesvaters sei er bei der Wahl seines Arbeitsplatzes auch nicht auf den Wohnort der Kinder beschränkt, sondern sehr wohl dazu verpflichtet, im Umkreis von zumindest 100 km zu suchen, was die Chancen am Arbeitsmarkt erheblich steigen ließe. Eine Arbeitsstelle in dieser Entfernung zum Wohnort seiner Kinder sei zumutbar, weil vorliegend die Kinder groß genug seien, um zu den Umgangskontakten selbst anzureisen. Auch diese Umgangskosten seien bei einer solchen Entfernung nicht unzumutbar.

Die Entscheidung des OLG bestätigt die langjährige höchstrichterliche Rechtsprechung zu den sehr hohen Anforderungen an den Nachweis einer vermeintlich nicht (ausreichend) gegebenen Leistungsfähigkeit zur Bestreitung des Mindestunterhalts. Gleichzeitig berücksichtigt sie die jüngsten Tendenzen in Gesetzgebung und Rechtsprechung hin zu einer umfassenden Einzelfallprüfung.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Unterhaltsverpflichtete den Mindestunterhalt für seine minderjährigen Kinder aufbringen kann. Behauptet er das Gegenteil, obliegt ihm die komplette Beweislast für alle seine Leistungsfähigkeit ausschließenden, bzw. einschränkenden Umstände. Er hat darzulegen und zu beweisen, dass es ihm unter Zugrundelegung seines Alters, seiner Ausbildung, seines Gesundheitszustandes und/oder der Art seiner letzten Erwerbstätigkeit, etc. nicht möglich ist, eine ihm zumutbare Tätigkeit aufzunehmen, die ihm ein zur Deckung des Mindestunterhalts ausreichendes Einkommen verschaffen würde. Zumutbar ist dabei grundsätzlich jede Tätigkeit im Bundesgebiet, zum Teil sogar im europäischen Ausland, sofern dadurch nicht wiederum der Kontakt zu den Kindern gefährdet wird. Dieser muss dann aber auch bestehen. Sind die Einkünfte aus einer regelmäßigen Haupttätigkeit (egal ob in angestellter oder selbstständiger Position) nicht ausreichend, so kann – wieder unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls – die Aufnahme einer zusätzlichen Nebentätigkeit verlangt werden.