OLG Karlsruhe Urteil vom 24.2.2011, 2 UF 45/09

Ausbildungsunterhalt und Volljährigenunterhalt

Leitsätze des Gerichts

Soweit ein Auslandssemester für die Berufsausbildung sinnvoll ist, ist dieses bei guten Einkommensverhältnissen der Eltern auch bei einer Verlängerung der Studienzeit zu finanzieren.

Die von einem niedergelassenen Arzt nach dem Erreichen der Regelaltersgrenze fortgesetzte freiberufliche Tätigkeit ist unterhaltsrechtlich überobligatorisch. Das hieraus erzielte Erwerbseinkommen kann nach den Umständen des Einzelfalls bei der Berechnung des Kindesunterhalts zu 50 % anzurechnen sein.

In einer sehr umfangreichen Entscheidung setzt sich das OLG Karlsruhe mit den Anforderungen des Ausbildungsunterhalts bei verlängerter Studiendauer und der Unterhaltsrelevanz von nach Erreichen des Rentenalters erwirtschafteten Einkünften auseinander. Nebenbei werden diverse weitere Fragen des Volljährigenunterhalts anschaulich abgehandelt.

Gründe (auszugsweise)

Zu den Verpflichtungen des auszubildenden Kindes und der Eltern…

„Der Unterhaltsanspruch umfasst nach § 1610 Abs. 2 BGB auch die Kosten einer angemessenen Berufsausbildung. Der Anspruch auf eine angemessene Ausbildung bemisst sich nach der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen des Kindes. Ihre Finanzierung muss sich in den Grenzen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern halten. Geschuldet wird von den Eltern also eine ihnen wirtschaftlich zumutbare, begabungsbezogene Berufsausbildung. Der Verpflichtung der Eltern steht die Obliegenheit des Kindes gegenüber, seine Ausbildung mit dem gehörigen Fleiß und gebotener Zielstrebigkeit zu betreiben, um sie innerhalb angemessener und üblicher Dauer zu beenden und sich danach selbst zu unterhalten. Bei einem Studium werden über die Regelstudienzeit hinaus noch ein bis zwei Examenssemester zugestanden, im Einzelfall noch mehr, wenn die durchschnittliche Studienzeit des betreffenden Studiengangs erheblich über der Regelstudienzeit liegt. Soweit ein Auslandssemester für die Berufsausbildung sinnvoll ist, ist dieses bei guten Einkommensverhältnissen der Eltern auch bei Verlängerung der Studienzeit zu finanzieren.“

Zur Dauer eines Studiums und zum Wechsel eines Studiengangs…

„Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der Beklagte seinen Obliegenheiten nachgekommen. Der Beklagte steht nun, gut fünf Jahre nach Beginn seines Studiums, vor dem Bachelor-Abschluss. Sein Auslandsaufenthalt war – beim Studiengang Sinologie bzw. Ostasienwissenschaften ohne weiteres nachvollziehbar – nach der Stellungnahme der Fachstudienberaterin seitens der Universität dringend angeraten, möglichst für die Dauer eines Jahres. Der einjähriger Auslandaufenthalt war daher für die Berufsausbildung sinnvoll und von den Eltern, auch in Anbetracht ihrer keineswegs beengten Einkommensverhältnisse, zusätzlich zur Studiendauer in Deutschland zu finanzieren. Auch das Studium eines zweiten Hauptfachs, dessen Wechsel von Philosophie zu Computerlinguistik und der Zeitpunkt des Wechsels sind nicht zu beanstanden. Dass ein zweites Fach obligatorisch ist, dessen Leistungen für den Abschluss ebenfalls erbracht sein müssen, ergibt sich aus den Ausführungen der Fachstudienberaterin. Der Beklagte bemerkte bereits im Wintersemester 2007/2008, seinem ersten Semester Philosophie und damit innerhalb der ihm zuzubilligenden Orientierungsphase, dass ihm dieses Fach nicht zusagte. Obwohl ein Wechsel zum Sommersemester 2008 nicht möglich war, belegte er bereits Kurse in Computerlinguistik, so dass er durch den Fachwechsel tatsächlich nur ein Semester verlor. Der Wechsel zum Wintersemester 2008/2009 erfolgte frühestmöglich. Dass der Beklagte nicht bereits in seinen ersten beiden Semestern Kurse im zweiten Hauptfach Philosophie belegte, entsprach nach der Stellungnahme der Fachstudienberaterin den Empfehlungen der Universität. Soweit der Beklagte – unter Abzug des Auslandsjahres – jetzt im 9. Semester des Bachelorstudiums seine Bachelorarbeit fertigt, führt dies auch im Hinblick auf die Regelstudienzeit von 6 Semestern nicht zu einem anderen Ergebnis. Insofern hat die Fachstudienberaterin in ihrer Stellungnahme ausgeführt, dass der Beklagte damit im Durchschnitt seines Jahrgangs, der als zweiter Jahrgang in der Erprobungsphase des Studiengangs begann, liegt.“

Zur Unterhaltsminderung durch BAföG…

„Eine Bedarfsminderung beim Beklagten ist auch nicht dadurch eingetreten, dass er das ihm bewilligte Bankdarlehen nach § 17 Abs. 3 BAföG nicht in Anspruch genommen hat. Zwar sind endgültig festgesetzte BAföG-Leistungen unterhaltsrechtliches Einkommen, die den Bedarf des Kindes mindern; das Kind ist gehalten, Ausbildungsförderung in Anspruch zu nehmen, auch wenn und soweit diese nur als unverzinsliches Darlehen gewährt wird. Vorliegend erfolgte die Bewilligung von Ausbildungsförderung jedoch nicht mehr nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 BAföG, wonach die Förderung zur Hälfte als Zuschuss, zur anderen Hälfte als unverzinsliches Darlehen gewährt wird. Vielmehr wurde dem Beklagten nur noch ein verzinsliches Bankdarlehen nach §§ 17 Abs. 3, 18c BAföG bewilligt. Dies beruhte ausweislich des Bescheids des Amts für Ausbildungsförderung darauf, dass der Beklagte nach Wechsel des zweiten Hauptfachs im Sinne von § 7 Abs. 3 BAföG eine „andere“ Ausbildung durchführte und ab September 2009 die Förderungshöchstdauer abzüglich der Fachsemesterzahl der vorangegangenen Hochschulzeiten erreicht bzw. überschritten war. Ein verzinsliches Bankdarlehen nach § 17 Abs. 3 BAföG entspricht im Wesentlichen einem Kredit, der auf dem freien Markt aufgenommen werden kann. Es ist daher kein Einkommen im Sinne des Unterhaltsrechts und nicht auf den Unterhaltsanspruch anzurechnen. Diesem Ergebnis stehen auch Zumutbarkeitsgesichtspunkte im konkreten Fall nicht entgegen. Der Kläger hat zwar 2008 sein 65. Lebensjahr vollendet. Er verfügt jedoch weiterhin über ein Einkommen, das die Freibeträge nach § 25 BAföG um ein Vielfaches übersteigt. Der Beklagte hingegen hat sein Studium in unterhaltsrechtlich nicht zu beanstandender Weise betrieben. Bei dieser Sachlage ist die Anwendung des Grundsatzes, dass ein verzinsliches Bankdarlehen gemäß § 17 Abs. 3 BAföG auf den Unterhaltsanspruch nicht angerechnet wird, für den Kläger nicht unzumutbar.“

Zu den Erwerbseinkünften ab Erreichen des Rentenalters…

„Das Einkommen aus seiner Praxistätigkeit rechnet der Senat dem Kläger im Hinblick darauf, dass der Kläger im Juni 2008 sein 65. Lebensjahr vollendet und damit die Regelaltersgrenze für die gesetzliche Rente erreicht hat, nicht in voller Höhe, sondern nur zu 50% an.

Die vom Kläger nach Erreichen der Regelaltersgrenze fortgesetzte freiberufliche Tätigkeit als Arzt ist unterhaltsrechtlich überobligatorisch. Für die Erwerbsobliegenheit eines Unterhaltspflichtigen – jedenfalls wenn er nicht gemäß § 1603 Abs. 2 BGB gesteigert unterhaltspflichtig ist – sind die Bestimmungen der Rechtsordnung zur Regelaltersgrenze heranzuziehen. Dabei macht es grundsätzlich keinen Unterschied, ob der Unterhaltspflichtige in einem abhängigen Arbeits- oder Dienstverhältnis steht oder ob er gewerblich oder freiberuflich tätig. Denn das Ausmaß der unterhaltsrechtlichen Obliegenheiten kann nicht davon abhängen, in welcher konkreten Form die Berufstätigkeit im Einzelfall ausgeübt wird.

Aus der grundsätzlichen Überobligationsmäßigkeit der Erwerbstätigkeit folgt aber noch nicht, dass das daraus erzielte Einkommen für die Unterhaltsbemessung beim Kindesunterhalt außer Betracht zu lassen ist. In welchem Umfang das Einkommen aus überobligatorischer Tätigkeit für den Unterhalt heranzuziehen ist, ist vielmehr nach den Grundsätzen von Treu und Glauben zu beurteilen. Eine Anrechnung des Erwerbseinkommens aus überobligatorischer Tätigkeit eines zum Verwandtenunterhalt Verpflichteten ist nur insoweit zulässig, als diese mit Treu und Glauben nach § 242 BGB zu vereinbaren ist. Erforderlich ist demnach eine umfassende Würdigung der Einzelfallumstände, die der Überobligationsmäßigkeit der Tätigkeit angemessen Rechnung trägt. Eine regelmäßig vollständige Heranziehung des Einkommens aus einer gemessen an § 1603 Abs. 1 BGB überobligatorischen Erwerbstätigkeit ist nur dann angezeigt, wenn die gesteigerte Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 BGB eingreift. Als Einzelfallumstände bei der Frage der Anrechnungsfähigkeit überobligatorischen Einkommens bei der Berechnung von Ehegattenunterhalt können vor allem das Alter und die mit der fortgesetzten Erwerbstätigkeit zunehmende körperliche und geistige Belastung, ergänzend auch die ursprüngliche Planung der Eheleute und die beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse herangezogen werden. Ob in Bezug auf den Kindesunterhalt die für den Ehegattenunterhalt geltenden Grundsätze der Einkommensanrechnung übertragen werden können, haben die Tatsachengerichte unter Berücksichtigung der Besonderheiten im jeweiligen Unterhaltsverhältnis zu prüfen. Vorliegend zieht der Senat insbesondere die gesundheitliche Situation des Klägers sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse und das Alter des Klägers und der Mutter des Beklagten als Abwägungskriterien heran.“

Zu den Renteneinkünften…

„Die vom Kläger bereits bezogene Altersrente stellt sich nicht als überobligatorisch dar und findet daher in voller Höhe Berücksichtigung. Dem steht im Hinblick auf die nur hälftige Anrechnung des Praxiseinkommens insbesondere der Grundsatz nicht entgegen, dass sich eine kumulative Berücksichtigung von Altersrente und ungeschmälertem Erwerbseinkommen verbietet.“

Zu regelmäßigen negativen Einkünften…

„Das negative Einkommen aus den Beteiligungen des Klägers an den Firmen Bo. Me. und H. bleibt hingegen unberücksichtigt. Aus den Beteiligungen hat der Kläger seit 2005 durchgehend negative Einkünfte von durchschnittlich ca. 14.000,00 EUR erzielt. Wenn er die Beteiligungen gleichwohl weiterhin hält, verstößt er gegen seine unterhaltsrechtliche Obliegenheit, sein Vermögen so gut wie möglich einzusetzen. Soweit der Kläger behauptet hat, die Beteiligung an der Firma Bo. Me. erhöhe mittelbar seine Praxiseinkünfte, ist dieser Vortrag nicht ausreichend konkret.“

Zu negativen Einkünften aus Abschreibungsmodellen…

„Die negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bleiben ebenfalls unberücksichtigt. Es handelt sich um Abschreibungsmodelle, die Aufwendungen dienen der Vermögensbildung des Klägers. Hierfür anfallende Zins- und Tilgungsleistungen dürfen grundsätzlich nicht einkommensmindernd berücksichtigt werden. Allerdings ergibt sich etwas anderes, soweit vermögensbildende Aufwendungen wie Tilgungen für Immobilien der Altersvorsorge dienen. Insofern hat sich der Kläger darauf berufen, dass die Zahlungen in Höhe von 4% des Gesamterwerbseinkommens als Altersvorsorge anzuerkennen sind. Dies wird im Rahmen der Ermittlung des bereinigten Nettoeinkommens entsprechend berücksichtigt.

Im Hinblick auf die fehlende Abzugsfähigkeit der negativen Einkünfte kann der Beklagte allerdings nicht an den hieraus resultierenden Steuervorteilen des Klägers teilhaben. Da die Steuervorteile aus den Verlusten dem Unterhaltsverpflichteten allein verbleiben, ist auch insofern eine fiktive Steuerberechnung vorzunehmen.“